Ein Beitrag von Schüler:innen der MSS11
Das Jahr 1933: Fastnacht
Dreizehn Jahre nach der Gründung der NSDAP (im Jahre 1920) kam Adolf Hitler 1933 an die Macht und verwandelt die Demokratie der Weimarer Republik in eine Diktatur. Schon seit dem Jahr der „Machtübernahme“ beeinflusst die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei nahezu alle Bereiche der Politik, der Presse, dem Sport, der Bildung und die von vielem weiteren Lebens- und Gesellschaftsbereichen. Auch das Fest der Fastnacht wurde dabei von den Nationalsozialisten nicht unbeeinflusst gelassen. Durch diverseste Tätigkeiten, wie zum Beispiel das Beeinflussen der Presse oder das Gestalten von antisemitischen Wagen auf Umzügen, wurde den Menschen auch bei einem (eigentlichen) Fest der Fröhlichkeit die NS-Ideologie eingebrannt.
Die Geschichte der Fastnacht im Nationalsozialismus startet in Nackenheim mit Quellen aus dem Jahr 1933, dem Jahr in welchem die NSDAP an die Macht kam. Wie schon im obigen Text erwähnt, fanden bereits in diesem Jahr Übergriffe der NSDAP auf die Fastnacht statt.
Quelle: Oppenheimer Landskrone vom 17. Februar 1933
In der oben beigefügten Quelle ist, bezogen auf das Thema Fastnacht, ein Text über den Maskenball des Radsportvereins in Nackenheim zu sehen. So erfährt man, dass es zwischen Sport und Fastnacht eine Verbindung gab. Wie heutzutage auch, feiern Sportvereine ihre eigenen Feste zusammen mit den Mitgliedern. Der Maskenball, um den es im Text geht, scheint sehr populär gewesen zu sein, denn auch der Ältestenrat des Nackenheimer Turnvereins besuchte ihn. Außerdem wurde bei jeglicher Darbietung laut geklatscht, was den Maskenball gelungen erscheinen lässt, beziehungsweise die Zustimmung der Bevölkerung hervorhebt.
Man könnte nun über den Fakt, dass die NSDAP Einfluss auf die Presse und die Fastnacht hatte verwundert sein, da in diesem Text kaum von der NSDAP und ihrer Ideologie zu lesen ist. Doch liest man den nachfolgenden Absatz, wird die Präsenz der Partei deutlich, denn unmittelbar nach dem Absatz, der von der Fastnacht handelt, wird über eine Versammlung der NSDAP in Guntersblum informiert. Die Worte „Versammlung der NSDAP“ sind extra fett gedruckt, sodass sie dem Leser direkt ins Auge fallen, was selbstverständlich zu einer Beeinflussung führt. Besonders auffallend ist hierbei die (Selbst-)Darstellung der antisemitischen Partei. Heutzutage ist allgemein bekannt, dass die NSDAP für alles andere als Frieden steht. Liest man jedoch den Text in der Quelle, so stößt man auf eine andere Beschreibung. Hier wird im Zusammenhang mit der Partei zweimal ganz deutlich das Wort „sittlich“ verwendet. Das Thema der Versammlung lautet „Das sittliche Recht und die sittliche Kraft des Nationalsozialismus“. Obwohl der Nationalsozialismus eine Ideologie des Antisemitismus, des Rassismus und des Antikommunismus war, wurde er hier als „sittlich“ bezeichnet. So kann man davon ausgehen, dass die Presse durch die „Gleichschaltung“ beeinflusst worden ist, den Text so zu verfassen. Auffallend ist auch, dass die Versammlung eine öffentliche und somit für jeden zugängliche Versammlung ist. Dadurch wird jeder Zeitungsleser eingeladen, an ihr teilzunehmen. Spannend ist ebenfalls, dass allem Anschein nach auch die Kirche beeinflusst wurde. Der Text lässt wissen, dass Pfarrer Knab aus Mainz- Gustavsburg eine Rede über das Thema der Veranstaltung hielt.
Das Jahr 1935: Fastnacht und Wein
So wie in den Jahren zuvor stand auch 1935 die meenzerische Fastnacht vor der Tür. Deshalb schrieb der Verkehrsverein Mainz am 02.01.1935 ein Schreiben an die Bürgermeisterei Nackenheim. Dort informierte er diese über den anstehenden Rosenmontagsumzug. Damit wie im Jahr zuvor ca. 150.00 Menschen und noch mehr kommen würden, waren ein paar Informationen nötig. Der „spektakuläre Umzug“ sollte mit Hilfe von Fernsehaufnahmen, Zeitungsberichten und Bildern dokumentiert werden. Wegen dieser Chance solle doch mithilfe lustiger und einfallsreicher Wägen und Gruppen, die am Zug teilnehmen, indirekt für den Weinbau der Region geworben werden. Der Mainzer e.V. erwartete, dass die Gemeinde Nackenheim mit einem Wagen teilnahm und hierbei auch Werbung für ihr Dorf machte. Diese Werbung musste jedoch “witzig” und nicht “bäuerlich” gestaltet werden. Falls dies der Gemeinde nicht möglich sei, so sollten Vorschläge vom e.V. genutzt werden. Die Teilnehmer mussten zwar die Kosten für die Musik, die Begleitmannschaft oder auch für die Pferde selbst zahlen, hatten somit jedoch eine große Chance, Werbung für ihr Dorf und den dort produzierten Wein zu machen. Durch die Quelle wird klar, dass versucht wurde, die Fastnacht und auch Weinfeste zu politisieren. Das Auftreten der Presse alleine sorgte für mehr Teilnehmer:innen, beziehungsweise wurde so abgesichert, dass auch die Menschen zu Hause alles darüber erfahren. Hierbei ist zu beachten, dass die Presse staatlich „gleichgeschaltet“ war und so Artikel verändert werden konnten, um ein bestimmtes, NS-freundliches Bild zu zeichnen.
Am 12.10.1935 sollte ein Rheinischer Abend stattfinden. Dieser wurde von der NS-Gemeinschaft “Kraft durch Freude“ veranstaltet und am darauffolgenden Tag sollte es ein Platzkonzert geben. Außerdem sollte es am 13.10.1935 um 13:45 Uhr einen Weinleseumzug geben. Im nachfolgenden Abschnitt wird der Laufweg des Zuges beschrieben und die Reihenfolge der Wägen oder Gruppen (z.B.: Wappenträger, Musikkapelle, Turnverein, …). Außerdem sollte dort „weinfrohe Stimmung herrschen“. Die meisten dieser Wägen trugen Weinbegriffe in sich.
Man erkennt an den genannten Punkten, dass der Wein zu dieser Zeit definitiv als nationalsozialistisches Propagandamittel genutzt wurde, um für die Region zu werben.
Am 15.11.1935 erhielt die Bürgermeisterei Nackenheim einen erneuten Brief, diesmal jedoch von der Deutschen Arbeitsfront des Kreises Oppenheim. Der Kreis wollte die Gebiete um Mainz herum für Wanderer erschließen und bat somit um Unterlagen, wo z.B. Burgen, Ruinen, Quellen oder Naturdenkmäler zu finden waren.
Dies war auch eine Art, für die Region und möglicherweise auch den Wein zu werben, da Wanderer auch öfters in Weinstuben einkehrten.
Das Jahr 1936: Fastnacht und Wein
Anfang des Jahres 1936 befand sich die Weingemeinde Nackenheim in einer finanziellen Notlage. Somit war der große Rosenmontagsumzug 1936 in Mainz gestrichen und sie konnten nicht, wie die Jahre zuvor, Weinwerbung machen. Denn der Weinbau war damals die große Grundlage der Wirtschaft und ohne die Werbung auf dem Zug gab es kaum neue Kunden und somit auch weniger Geld.
Die Gemeinde Nackenheim plante nun am 6. September 1936, ein Winzerfest zu veranstalten. Jedoch stellte sich schnell heraus, dass auch dieses Fest wegen eines katholischen Feiertags nicht stattfinden konnte. Das große Rhein-Mainische Winzerfest war nun die letzte Chance für Nackenheim, um Werbung für Weine zu machen. Das Winzerfest fand statt am 30. August 1936 statt, Höhepunkt war ein großer Festzug, wie man ihn von den Fastnachtsumzügen kannte. Nackenheims Ziel war es nun, mindestens einen Wagen zu stellen. Sie mussten alles zeigen und für Nackenheim und ihre Weine werben. Der Wagen sollte außerdem in der vordersten Reihe stehen. Doch auch das schaffte Nackenheim ohne finanzielle Unterstützung und Helfer nicht.
Quellen: Briefverkehr der Gemeinde Nackenheim zu Fastnachts- und Festaktivitäten in Nackenheim im Jahr 1935/36 (LA Sp. U199,99)
Mehr zum Thema „Wein“ im Nationalsozialismus findet sich auch unter folgendem Link.
Das Jahr 1937: Fastnacht und andere Feste
Aus den Quellen geht hervor, wie das NS-Regime die Fastnachtszeit und andere Feste wie öffentliche Wettbewerbe als Propagandamittel nutzte. Dadurch konnten den Menschen politische Einstellungen auch unterbewusst eingeprägt werden.
Die Gemeinde Nackenheim wurde durch den Verkehrsausschuss der Gemeinde dazu beauftragt, einen Blumenwettbewerb zu veranstalten. Dies geht aus einer Quelle vom 11. Juni 1937 hervor, in der auch der weitere Ablauf des Wettbewerbs beschrieben wird. Der Wettbewerb sah vor, dass die Bürger:innen ihre Häuser schmückten und somit insgesamt Nackenheim verschönern sollten. Um zur Teilnahme anzuregen wurde versichert, dass durch die Teilnahme “keine versteckten Kosten” anfallen und man sich nur in der Liste des Bürgermeisters eintragen müsse. Es wurde sich eine möglichst hohe Teilnahmequote von alt und jung gewünscht, weiterhin wurde festgehalten, wer sich an dem Wettbewerb beteiligt hatte. Der Wettbewerb kam mit einer Preisverleihung am Erntedankfest zu seinem Ende. Die Teilnahme an der Preisverleihung war für die Mitglieder des Verkehrsausschusses verpflichtend.
Die offensichtliche Folge des Blumenwettbewerbs war, dass die Gemeinde bunt geschmückt war. Durch die Zusage, dass der Wettbewerb völlig kostenfrei sei, bestand eine höhere Anregung zur Teilnahme am Wettbewerb, sodass Jede:r an diesem teilnehmen konnte und sollte. Dadurch sollte die sogenannte, nationalsozialistische „Volksgemeinschaft“ gezielt gestärkt werden.
Jedoch wurden mit dem Wettbewerb auch Propagandazwecke verfolgt. Dies wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die Teilnahme “empfohlen” wurde, was im Endeffekt nur eine höfliche, nicht ablehnbare Aufforderung war. In der Quelle wird weiterhin deutlich, dass auch schon Kinder an dem Wettbewerb teilnehmen sollten, wodurch klar wird, dass alle Altersstufen der Bevölkerung einbezogen, aber auch manipuliert und beeinflusst werden sollten.
Das Jahr 1938: Fastnacht
25.01.1938:
Die erste Sitzung der Entenbrüder war ein Triumph der Narrheit. Es gab ein Eröffnungsspiel, verschiedene Vorträge und ein Zwiegespräch. Während der Unterhaltung waren die Gäste laut Zeitungsbericht hochgespannt, freudig und beschrieben den Verlauf als sehr gelungen. (Quelle: Zeitungsartikel der Oppenheimer Landskrone)
05.02.1938:
Es wird zu einer karnevalistischen Sitzung mit Tanz um 20:11 Uhr in Wörrstadt eingeladen. Geworben wird mit Rheinischem Frohsinn, Büttenreden und Überraschungen. Der Eintritt liegt bei 30 Rpf. (Quelle: Zeitungsartikel der Oppenheimer Landskrone)
26.02.1938:
Um 20:11 Uhr gibt es einen großen Preismaskenball, mit großartigen Preisen, wie eine Reise in den Schwarzwald, nach Heidelberg oder in den Odenwald (insg.: sechs Reisen). Im Vorverkauf kosten die Karten 60 Pfennig, beim Abendkaffee 80 Pfennige. Der Besitz einer Karte inkludiert das Tanzen in beiden Sälen. (Quelle: Zeitungsartikel der Oppenheimer Landskrone)
28.02.1938:
Die Entenbrüder verabschieden die Fastnachtssaison in Nackenheim mit einem Umzug um 16:11 Uhr mit dem Komitee und den Mitgliedern. Hinzu kommt noch der Maskenball um 20:11 Uhr im „Schiff“. Es herrscht ein großes Maskentreiben und gute Stimmung, auch bei den Turnern. Außerdem gibt es auch für die Kleinen einen Kindermaskenball um 14:11 Uhr, für den in der Zeitung geworben wird. Die Tickets kosten 20 Pfennige und jeder Besucher erhält ein karnevalistisches Geschenk. (Quelle: Zeitungsartikel der Oppenheimer Landskrone)
Unser Fazit
“Das Fest intensiviert, was im Alltag reduziert wird, der Alltag wiederum braucht, was im Fest suspendiert wird.“
zit. n. Markus Raasch: „Grundsätzliche Überlegungen“, in: Kissener, Michael; Janson, Felicitas (Hrsg.): Die Fastnacht der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“. Studien zu Mainz und anderen Regionen. Oppenheim, 2020, S. 19.
Zusammenfassend kann man sagen, dass Fastnacht damals sowie auch heute Jede:n erreichte, ob jung und alt, arm und reich. Alle sozialen Gruppen konnten bei diesem und anderen Festen zusammentreffen. Alleine dadurch, dass sämtliche Veranstaltungen entweder kostenfrei oder sehr billig waren, wurde jedem/ jeder die Möglichkeit geboten, an dem Fest teilzunehmen. Durch die Teilnahme von vielen Menschen auch aus verschiedenen Gesellschaftsgruppen, sorgte die Fastnacht für ein Gefühl der Gemeinschaft, da (fast) keiner ausgenommen war. Somit stärkte die Fastnacht die sogenannte „Volksgemeinschaft“ und brachte dem Regime gegenüber Sympathien und Vertrauen auf. Ebenfalls benutzen die Nationalsozialisten:innen damals auch „Volkslieder“ etc., um unterbewusst den Bürger:innen jegliche Art von Diskriminierung zu lehren. Des Weiteren diente die Fastnacht auch zur „Legitimation“ von Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Ableismus und weiteren Formen von Diskriminierungen. Die Diskriminierung von Menschen sollte in dem Fall als Witz oder Unterhaltung dienen, jedoch prägte man so Bürger:innen bewusst den eigentlichen Gedanken des Ausschlusses bestimmter Gruppen ein. Durch diese Herangehensweisen konnten auch schon Kinder und Jugendliche beeinflusst werden, die sich dieses Verhalten von den Erwachsenen abschauten und lernten, dass es völlig in Ordung ist, Andere als vermeintlich “minderwertig” zu sehen. Außerdem entsteht durch eine solche „Legitimation“ eine gewisse Gruppendynamik, das heißt, um es umgangssprachlich auszudrücken, “wenn der sich drüber lustig macht, dann darf ich das auch”.
Somit wurden junge und ältere Menschen in ihrer politischen Urteilsbildung instrumentalisiert und manipuliert.
Fastnacht ist kein Freifahrtschein für Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Ableismus, Homophobie oder sonst jegliche Art von Diskriminierung. Es war damals nicht legitim, genau so wie es heute nicht legitim ist und es auch nicht in der Zukunft sein wird.
…Leerstellen in der Erinnerung?
Nach 1945, (…) sei die Zeit des Nationalsozialismus in Mainz „entweder nur gestreift, oft sogar völlig ausgeklammert“ worden. Auch für die Dörfer vor den Toren von Mainz wie Nackenheim gelte, dass die Jahre von 1933 bis 1945 „in den Vereinschroniken und Festschriften nur selten oder überhaupt nicht erwähnt“ würden.
zit. n. Scholtyseck, Joachim: „Eine gewisse Stille“? Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Mainzer Fastnacht, in: Kissener, Michael; Janson, Felicitas (Hrsg.): Die Fastnacht der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“. Studien zu Mainz und anderen Regionen. Oppenheim, 2020, S. 124.
Die Maske ist nur eine Art Fassade für die Grausamkeit, die eigentlich hinter ihr steckt. Die Schönheit des Festes hat Makel, durch die das Regime zum Vorschein kommen kann, wenn man nur genauer darauf achtet. Das Auge zeigt eine Spiegelung der eigentlich offensichtlichen Realität, wofür die Fastnacht im Nationalsozialismus ausgenutzt wurde.
Unsere Ideen zur Füllung von „Leerstellen“ in der Erinnerung zum Thema Fastnacht finden sich unter folgendem Link.
Weiterführende Literatur:
- Kissener, Michael; Janson, Felicitas (Hrsg.): Die Fastnacht der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“. Studien zu Mainz und anderen Regionen. Oppenheim, 2020.
- Berkessel, Hans; Dold, Cornelia (Hrsg.): „Wir waren zunächst mal froh, dass wir noch lebten.“ Die Erinnerungen Walter Grünfelds an seine Kindheit und Jugend in Mainz. Bad Schwalbach, 2021.