Propaganda & Terror

Ein Beitrag von Lehrer:innen des Gymnasiums Nackenheim

I. NS-Propaganda

Propaganda entfaltete in vielfältigen Formen ihre Wirksamkeit. Von Kinofilmen über Feste, Großkundgebungen oder Einladungen zum Eintopfessen – die Ansprache der „Volksgemeinschaft“ erfolgte unter über die Zeitung sowie öffentliche Aushänge. Aus der „Oppenheimer Landskrone“ wird ersichtlich, dass für Nackenheimer:innen Kinobesuche in den „Niersteiner Rheinlichtspielen“, in den „Oppenheimer Lichtspielen“ oder in Mainz möglich war – häufig wurden dort NS-Propagandafilme gezeigt, die gezielt ideologische und politische Vorstellungen transportieren sollten. Auch organisierte die NSDAP für die Nackenheimer:innen Filmabende im örtlichen Saalbau „Zum Schiff“, so etwa 1936. Für Mitglieder der NSDAP war dabei eine Teilnahme Pflicht, aber auch allen anderen Nackenheimer:innen stand sie offen.

Quelle: LA Sp., Best. U199, 20

Die Kreisleitung der NSDAP Mainz warb für ihre Großkundgebungen über die Zeitungen gezielt auch in den Vororten sowie den einzelnen Landgemeinden, unter anderem auch in Nackenheim. Nicht unüblich war es, Festumzüge detailgenau anzukündigen, um einerseits die Einbindung der ortsansässigen Vereine und NS-Organisationen zu demonstrieren, andererseits aber auch, um möglichst viele Bürger:innen zur Teilnahme zu motivieren und somit Öffentlichkeit zu schaffen.

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Das gemeinsame „Eintopfessen“ wurde ebenfalls über die Zeitung sowie öffentliche Einladungen an NSDAP-Mitglieder, Vereine und Verbände beworben. Aus der Einladung zum „Eintopfessen“ vom 8. Dezember 1938 wird deutlich, dass die Nackenheimer:innen sich zunächst auf dem Platz vor dem Rathaus, damals „Adolf-Hitler-Platz“, versammelten und dann unter Marschmusik in den Saalbau „Zum Schiff“ weiterzogen. Umrahmt wurde die Veranstaltung vom Gesangsverein, den Entenbrüdern und der Feuerwehrkapelle.

Um Nackenheim als Tourismus- und Weinort attraktiver zu machen, förderte die NSDAP die örtliche Festkultur gezielt. Neben der Etablierung des Winzerfestes im Jahr 1938 und anderen Veranstaltungen der NS-Organisation „Kraft durch Freude“ eröffnete die Gemeinde Nackenheim in den 1930er Jahren offensichtlich auch ein Strandbad.

Die öffentlichen Feste und Veranstaltungen gingen immer auch mit dem Ausschluss bestimmter Menschen der Ortsgemeinden einher, so wird in einem Zeitungsartikel der „Oppenheimer Landskrone“ etwa über antisemitische Motivwägen beim Winzerfest 1938 in Nackenheim berichtet (siehe Wein), die öffentliche Einladung zum Weinlesefest in Nackenheim richtete sich ausschließlich an „Volksgenossinnen und Genossen“.

Umfangreiche Informationen zur Verknüpfung von Wein, Festen und Propaganda finden sich auch auf den Themenseiten zum Wein und zur Fastnacht.

Quelle: LA Sp., Best. U199, 18
Quelle: LA Sp., Best. U199, 99 (1938)

Das Nackenheimer Rathaus in den 1930ern und in den 1950ern

Auch das Rathaus wurde genutzt, um politische Anordnungen vor Ort zu transportieren. Im Vergleich der Bilder lässt sich feststellen, das nicht nur die Beflaggung auf der zweiten Aufnahme „fehlt“, sondern auch der Schaukasten an der linken Gebäudeseite.

Werner Lang berichtet in einem Heft der Nackenheimer heimatkundlichen Schriftenreihe: „1937 wurde das Rathaus renoviert und umgebaut. Das Portal wurde in die Mitte gesetzt und innen im Erdgeschoß ein holzgetäfelter Sitzungssaal geschaffen. Auch der Brunnen vor dem Rathaus wurde neu gefasst. Bei der Renovation wurde auf amtliche Verfügung die Madonna aus der Nische des Rathauses entfernt. Ein Protestschreiben des Pfarrers an das Denkmalamt hatte keinen Erfolg. Die Figur wurde der Stifterin, Frau Luise Hinsberg, zurückgegeben und im Pfarrhaus aufbewahrt. Am Sonntag, dem 6. Mai 1945, nach dem Ende des Nazi-Regimes, wurde die Rokoko Madonna nach feierlicher Weihestunde in der Kirche unter großer Beteiligung der Bevölkerung wieder in die Rathausnische zurückgebracht„.

Quellen: Bild 1930er: Nackenheimer heimatkundliche Schriftenreihe (Werner Lang): „Die Nackenheimer Schule im 19. und 20. Jahrhundert. Das Nackenheimer Rathaus“ Heft 15, 1981, S. 20; Bild 1950er: LHA Koblenz, 710/609.

Das Nackenheimer Rathaus im Jahr 2021 (Aufnahme: privat)

II. Terror

In der frühen Phase der Etablierung der NS-Diktatur ging die NSDAP bewusst öffentlich gegen politische Gegner:innen vor. So wurden die häufig gewaltsamen „Inschutzhaftnahmen“ und Transporte in das KZ Osthofen namentlich in der Zeitung vermeldet und nicht selten von Drohungen an die übrige Bevölkerung umrahmt, bzw. durch fadenscheinige Vorwände pseudolegitimiert. Unter den Häftlingen aus Nackenheim befanden sich neben KPD-Anhängern auch Heinrich Wolff, der vermutlich aus antisemitischen Gründen in Osthofen interniert wurde.

Umfangreiche Informationen zur Verfolgung jüdischer Nackenheimer:innen finden sich auch auf der Themenseite zur Verfolgung.

Quelle: „Oppenheimer Landskrone“, 06. Juli 1933
Quelle: „Oppenheimer Landskrone“, 08. Juli 1933

Der im obigen Zeitungsartikel genannte Karl Musseleck senior ist der Vater des in der weiter unten aufgeführten Quelle zitierten Karl Musseleck, der auf Grund seiner politischen Orientierung denunziert wurde.

Quelle: „Oppenheimer Landskrone“, 08. September 1933

Die festgestellte Tendenz zur gegenseitigen Duldung [von Nationalsozialisten und ihren Gegnern] darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in bestimmten Fällen auch zu Verfolgungen und einem strikten Durchgreifen der Nationalsozialisten kam. Vor allem zu Beginn ihrer Herrschaft gingen sie aktiv gegen politische Gegner vor, wenn auch die Rolle der Nackenheimer Kräfte dabei unklar ist. Die Kommunisten Anton Rösinger und Karl Musseleck wurden Ende 1933 wegen „politischer Umtriebe“  in Nierstein beziehungsweise Karlsruhe verhaftet und auch die [angeblich] „kriminellen kommunistischen Gruppierungen“ des Dorfes wurden aufgelöst – eine Maßnahme, die von den meisten Nackenheimern begrüßt wurde. Der ehemalige SPD- Beigeordnete Paul Lenz wurde 1933 auf seiner Stelle bei der Krankenkasse entlassen und sah sich ebenso Ermittlungen wegen Unterschlagung gegenüber wie Altbürgermeister Adam Sans VI., der im Gegensatz zu Lenz jedoch nicht verurteilt wurde und der Haft entging. Während dieser Zeit der Festigung der nationalsozialistischen Herrschaft saßen bis zu seiner Schließung im Juli 1934 wohl insgesamt sechs Nackenheimer zeitweilig im Konzentrationslager Osthofen ein.

zit. n. Bick, Henri: Die Gemeinde Nackenheim im „Dritten Reich“, unveröffentlichte Bachelorarbeit, eingereicht am Historischen Seminar der JGU Mainz, 2014, S. 33-34.

Häufig waren es aber auch gerade Denunziationen und Berichte über private Gespräche innerhalb der Bevölkerung, die zu den „Inschutzhaftnahmen“ führten, wie es folgende Dokumente für Nackenheim belegen.

Quelle: LA Sp. Best. J46, 259.
Dieses Foto zeigt den in der obigen Quelle denunzierten Karl Musseleck (Dritter von rechts in der vorderen Reihe). Quelle: Familienbesitz der Familie Musseleck.

Karl Musseleck (junior) wurde am 31. Dezember 1898 in Düsseldorf geboren und starb am 01. April 1938 bei Batea in Spanien. Seit 1928 war er Mitglied der KPD. Als Matrose soll er 1933 über 2000 Exemplare der kommunistischen Zeitschrift „Die Rote Fahne“ von Straßburg nach Mannheim geschmuggelt haben. Nach seinem Tod vernichtete seine Witwe aus Angst vor der NS-Regierung nahezu alle Spuren, die an ihn und seine politische Tätigkeit erinnerten. Das obige Bild ist neben einem weitern Porträtfoto daher die einzig erhaltene Fotografie von Karl Musseleck junior. In Bodenheim ist ein Grabstein Karl Musselecks erhalten (siehe Bild).

„Die Rote Fahne“, Zeitungskopf der Ausgabe des 23. Novembers 1918.

Quelle: Wikipedia (gemeinfrei); https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rote-Fahne-1918.jpg
Quelle: privat
Quelle: LA Sp. Best. U199, 100.

Für Bodenheim ist belegt, dass es zu öffentlichen und auch demütigenden „Strafmaßnahmen“ unter Aufsicht der SA kam, wie folgendes Foto zeigt:

Die Bodenheimer Willy Jerz und Lothar Mayer mussten 1933 unter Aufsicht der SA NS-feindliche „Schmierereien“ an einer Mauer am Schönbornplatz in Bodenheim abwaschen. (Foto: H. Kasper, Privatarchiv)

III. Das Konzentrationslager Osthofen als Ort des Terrors

Ein Beitrag einer Schülerin der MSS10

Seit einigen Jahren schon besuchen die Ethik- und Religionskurse der 10. Klasse des Gymnasiums Nackenheim jährlich die Gedenkstätte Osthofen.

Anfang März 1933 wurde die stillgelegte Papierfabrik zu einem Konzentrationslager umfunktioniert. Das Konzentrationslager wurde durch die nationalsozialistische Propaganda als „Umerziehungs- und Besserungsanstalt“ bezeichnet. Inhaftiert waren politisch Oppositionelle (Mitglieder der SPD, KPD und des Zentrums, Kommunisten, …), aber auch Juden. Offiziell war das KZ Osthofen nicht spezifisch antisemitisch und offiziell soll es auch keine Todesfälle in dieser Einrichtung gegeben haben. 

Das KZ Osthofen wurde bereits im Juli 1934 wieder aufgelöst. Das Gebäude wurde anschließend im Oktober 1936 zwangsversteigert und als Möbelfabrik (Hildebrand & Bühner G.m.b.H.) genutzt, weshalb heute keine Spuren spezifisch von den Inhaftierten zu finden sind.

Seit 1978 ist an der Außenmauer des Gebäudes eine Gedenktafel mit der Inschrift „HIER WAR 1933-35 DAS HESSISCHE KZ LAGER OSTHOFEN.  NIEMALS WIEDER!“ zu finden.

Am 21. Dezember 2021 erhielten die Ethik- und Religionskurse der 10. Klasse des Gymnasiums Nackenheim eine Führung durch die Gedenkstätte Osthofen. Die SchülerInnen wurden über die Entstehung, Auflösung und Lage des Konzentrationslagers Osthofen, den Alltag der Inhaftierten und die Reaktionen der Anwohner informiert. Deshalb trägt auch die aktuelle Sonderausstellung den Namen „Einige waren Nachbarn“. In Vorträgen und Rundgängen wurden der Schülerschaft folgende Informationen unterbreitet:

Alltag

Die Inhaftierten schliefen in einem großen Schlafsaal auf selbstgebauten Pritschen aus Holzresten. Aufgrund des nass- kalten Klimas wurden die meisten Inhaftierten schnell krank. Schwerwiegende Lungenerkrankungen waren nicht selten, wobei vom Lagerarzt keine Hilfe zu erwarten war. Um das Image der „Erziehungs- und Besserungsanstalt“ zu bewahren wurden Kranke entlassen, bevor sie im Lager selbst verstarben. Morgens hatten die Inhaftierten nur wenig Zeit, um zu essen und sich zu waschen, wobei man hier eigentlich wohl kaum von „waschen“ sprechen kann, da nur ein Haufen Sand bereitstand, um den gröbsten Schmutz von Körper zu reiben. Über den Tag hin verteilt erhielten die Inhaftierten sinnlose Aufgaben, wie beispielsweise den Sandhaufen ohne Werkzeuge in verschiedene Ecken des Hofes zu transportieren, nur um wieder am Ausgangspunkt anzukommen. Diese Aufgaben waren dazu da, um den Willen und den Geist zu brechen. Am „beliebtesten“ waren Aufgaben Außerhalb (z.B. in den Weinhängen), da die Inhaftierten dort nicht nur, wenn auch nur für kurze Zeit, aus dem Lager herauskamen, sondern auch weil sie mit etwas „Glück“ von den Anwohnern etwas zu Essen bekamen. Das Essen im KZ Osthofen bestand aus einer Mischung aus Suppe und Eintopf aus Lebensmitteln, welche aus der Umgebung übrigblieben. In einem großen Topf kochte täglich ein Insasse die Lebensmittelreste zusammen und streckte alles mit Wasser, sodass gerade „genug“ für alle da war.

Im Schlafsaal kamen teilweise bis zu 80 Männer zusammen. Da, obwohl alle gegen den Nationalsozialismus waren, die verschiedenen Gruppierungen (v.a. Kommunisten und Sozialdemokraten) unterschiedliche Meinungen hatten, sorgten die Wärter immer wieder für Streitereien, um zu verhindern, dass sich alle Inhaftierten zusammenschlossen, da die Wärter in der Unterzahl und nicht vollständig ausgerüstet waren. Juden wurden von den Wärtern schlechter behandelt.

AnwohnerInnen

 Jeder wusste, dass mitten im Ort das Konzentrationslager stand. Jedoch stellten die Nationalsozialisten in ihrer Propaganda das KZ als eine Anstalt dar, in der den Menschen geholfen werden würde. So wurden viele Presseberichte veröffentlicht, in denen angepriesen wurde, wie gutes Essen selbst politische Gegner bekamen. Den SchülerInnen des Gymnasiums Nackenheim wurde so ein Zeitungsfoto gezeigt, auf dem die Inhaftierten in guten Anzügen vor einem guten Essen saßen. Anschließend wurde erklärt, dass das Foto gestellt wurde.  Die Inhaftierten hatten nur für das Pressefoto Seife zum Waschen bekommen und auch nur die noch am gesündesten Insassen wurden für das Foto ausgewählt. Auch das Essen war eigentlich nur für die Wärter bestimmt und durfte von den Insassen nicht angerührt werden. Diese Propaganda hielt die Anwohner davon ab, zu genau hinzusehen. Außerdem sorgten die sinnlosen Arbeiten der Inhaftierten dazu, dass sie nach kurzer Zeit (meist ein paar Wochen und nur selten Monate) „gebrochen“ entlassen wurden und aus Demütigung oder Angst nicht über ihre Zeit im Konzentrationslager sprachen. Dennoch reichten einige Anwohner Essen und Kleidung über das Tor den Inhaftierten zu.

Lage

Der im Alltagsexkurs beschriebene Alltag trifft nur auf Lager 1 (dem großen Schlafsaal) zu. Es gab auch noch das Lager 2. In diesen Lager 2 waren die Umstände (Hygiene, Nahrung, …) deutlich fataler. Die Inhaftierten wurden in, dem in einer nahegelegenen Holzmühle liegenden, Lager 2 einzeln isoliert inhaftiert. Auch bekamen die Insassen dort auch kaum Nahrungsmittel, sodass Inhaftierte in Lager 2 noch stärker und schneller abmagerten, als die Inhaftierten in Lager 1. Auch diente Lager 2 als Abschreckung und Warnung an die Inhaftierten aus Lager 1, um diese davon abzuhalten, sich zu wehren.

Der „Lagerarzt“ des KZ Osthofen kann nicht wirklich als Arzt bezeichnet werden. Dieser Arzt stellte lediglich zu Beginn der Haft eines jeden Insassen eine Bescheinigung aus, um zu belegen, dass die Männer arbeitsfähig und gesund seien. Diese Bescheinigung was meistens eine Lüge. Auch behandelte der Lagerarzt erkrankte Insassen nicht und war meist gar nicht erst auf dem Gelände aufzufinden.

Durch die Exkursion konnte der 10. Jahrgang sehr viele Eindrücke und Informationen sammeln. Das Programm war informativ und sehr detailliert gestaltet.

Foto der KZ-Gedenkstätte Osthofen im Winter 2021/22