Ein Beitrag von Schüler:innen der MSS10 und 11
I. Die Familie Wolff
Die Familie Wolff ist eine Nackenheimer Familie jüdischen Glaubens, bestehend aus dem Ehepaar Wolff: Heinrich (25.03.1878 – Todesdatum unbekannt, 1942 Deportation nach Piaski) und Selma (04.04.1888 – Todesdatum unbekannt, 1942 Deportation nach Piaski), und deren Söhnen Helmut (17.09.1915 – 07.06.1999) und Herbert Wolff (14.02.1914 – 10.11.2003). Sie wohnten bis 1937 in der Mainzer Straße 15 in Nackenheim und zogen dann aufgrund antisemitischer Verfolgungen nach Mainz. Heinrich Wolff war aktives Mitglied in der jüdischen Gemeinde Nackenheim/Bodenheim und Mitglied in verschiedenen Sportvereinen. Den beiden Söhnen gelang es, so wie weiteren Bekannten und Familienangehörigen der Wolffs, noch vor 1939 in die USA zu flüchten. Das Ehepaar Wolff scheiterte jedoch mit ihren Ausreiseanträgen. Ein weiteres Problem war, dass ihre Wohnsituation mit Beginn des Zweiten Weltkrieges durch immer härtere Maßnahmen der nationalsozialistischen Regierung gegen die jüdische Bevölkerung erschwert wurde. Da sie es nicht schaffen konnten, das Land rechtzeitig zu verlassen, wurden sie schlussendlich im Frühjahr 1942 aus Mainz deportiert und ermordet.
Stammbaum und Steckbrief der Familie Wolff (Auszug)
Heinrich Wolff wird 1927 in den Vorstand der jüdischen Gemeinde Bodenheim-Nackenheim gewählt
Heinrich Wolff als aktives Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr sowie des Nackenheimer Turnvereins
II. Der Briefverkehr der Familie Wolff mit ihren Söhnen
Nach der Flucht ihrer Söhne Helmut und Herbert führte die Familie Wolff einen regen Briefverkehr. Die Briefe der Eltern an die Söhne bis zu ihrer Deportation im Jahr 1942 sind erhalten und wurden 2021 ediert und veröffentlicht.
Erhaltene Briefumschläge der Korrespondenz des Ehepaars Wolff mit ihren Söhnen in den USA, 1938; 1940 (Quelle: Nachlass Raymond Wolff, zitiert nach: Raymond Wolff, Martina und Hans-Dieter Graf, Hans Berkessel (Hg.), „Schreie auf Papier“. Die Briefe von Heinrich und Selma Wolff aus Mainz an ihre Söhne Herbert und Helmut in New York 1937 – 1941, Oppenheim: Nünnerich-Asmus-Verlag 2021).
Erhaltene Korrespondenz des Ehepaars Wolff mit ihren Söhnen in den USA, 1939; 1940 (Quelle: Nachlass Raymond Wolff, zitiert nach: Raymond Wolff, Martina und Hans-Dieter Graf, Hans Berkessel (Hg.), „Schreie auf Papier“. Die Briefe von Heinrich und Selma Wolff aus Mainz an ihre Söhne Herbert und Helmut in New York 1937 – 1941, Oppenheim: Nünnerich-Asmus-Verlag 2021).
Viele Familienangehörige und Bekannte der Familie Wolff wanderten von Deutschland unter anderem nach Afrika, in die USA, nach Kuba und nach England aus. Für das Ehepaar Wolff gab es jedoch zeitnah keine Perspektive auszureisen, da es aufgrund ihrer hohen Wartenummer wahrscheinlich erst im Jahre 1945 möglich geworden wäre, das Land zu verlassen. Deshalb baten sie ihre Söhne in den USA um Hilfe, die Ausreise aus dem Ausland möglich zu machen.
Ein anderes Problem für das Ehepaar Wolff war, dass ihnen die Wohnsituation durch die nationalsozialistische Regierung erschwert wurde. Das Haus in Mainz, in dem die Familie Wolff bisher wohnte, wurde verkauft und Heinrich und Selma mussten wahrscheinlich ausziehen, weil sie auf Grund ihres Jüdischseins nur noch in „nichtarischen“ Häusern wohnen durften. Deswegen wurde es schwierig für sie, eine neue Wohnung zu finden, da „nichtarische“ Häuser durch die vielen Auswanderungen zum Großteil alle zwangsenteignet wurden oder zu „Schleuderpreisen“ verkauft, „arisiert“ wurden.
Das Ehepaar Wolff hoffte, dass es bald aus Deutschland auswandern könne, um zu ihren beiden Söhnen zu kommen, deswegen arbeitete Heinrich Wolff hart daran, dass es für ihn und seine Frau Selma möglich werden würde, nach Lissabon auszureisen. Dafür beantragte das Ehepaar Wolff Reisepässe und versuchte, Schiffsplätze zu reservieren. Da das Ehepaar Wolff es bis 1942 nicht schaffen konnte, das Deutsche Reich rechtzeitig zu verlassen wurden sie 1942 aus Mainz in das Ghetto nach Piaski in Polen deportiert und später ermordet.
III. Briefe der Familie Wolff an ihre Söhne aus den Jahren 1939 und 1941 im Vergleich
Man merkt, dass der Brief aus dem Jahr 1941 im Gegensatz zu den vorherigen Briefen sehr kurz gefasst ist und nur die wichtigsten Dinge geschrieben wurden. Herr Wolff schreibt, dass er und Frau Wolff die Ausreise aus Deutschland planen. Deshalb korrespondierten sie mit Cook Berlin, welche die Überfahrt für sie organisieren sollten. Als großes Problem nannte er, dass die Passage der Überfahrt derzeit sehr überfüllt sei, da viele Menschen nach Amerika auswandern wollen. Dies liegt daran, dass viele Länder zwischen 1933 und 1942 eine Flüchtlingskrise durch die systematische Judenverfolgung in Deutschland erlitten, weswegen viele Länder, beispielsweise Großbritannien und die Niederlande, begrenzte Aufnahmezahlen für Flüchtlinge festlegten. Dies machte es für jüdische Familien wie die Familie Wolff schwieriger, in andere Länder zu flüchten. Zudem brauchte man, wenn man in die USA emigrieren wollte, ein Visum, welches durch die begrenzten Aufnahmen schwierig zu beschaffen war.
Herr Wolff schrieb außerdem, dass er und seine Frau Reisepässe beantragt hätten und dass er deshalb zuversichtlich für das Gelingen der Ausreise war. Ein Pass war eine Grundvoraussetzung für das Einreisen. Jedoch werden die Familie Wolff die Pässe, die sie beantragt hatten, wahrscheinlich nicht bekommen haben, da Jüdinnen und Juden im Deutschen Reich bis zum 25. November 1941 die deutsche Reichszugehörigkeit aberkannt wurde, um die Ausreise zu verhindern. Zudem schloss die USA ihre diplomatischen Vertretungen in Europa, sodass die Ausreise von da an nur noch für die Menschen möglich war, die ein amerikanisches Konsulat in den nicht besetzten Teilen Europas erreichen konnten, was die Emigration weiter erschwerte.
Auch fällt auf, dass der Brief aus dem Jahr 1941 im Vergleich zu den zuvor verfassten Briefen eine größere Zahl an nicht verbesserten Rechtschreibfehlern enthält, kürzer ist und sich auch verhältnismäßig beschwerlich lesen lässt. Der Hauptgrund dafür sind die umständlich formulierten Sätze, die in manchen Fällen auch wenig aufgehen. Rein spekulativ könnte man vermuten, dass für all dies die prekäre Lage der Eltern verantwortlich ist und sie deshalb andere Sachen (und Sorgen) im Kopf haben, als einen grammatikalisch richtigen Brief an ihre Söhne zu schreiben. Auch könnte es daran liegen, dass die Wolffs erst vor kurzem umziehen mussten und möglicher Weise keine Schreibmaschine mitnehmen konnten und deshalb eine andere verwendet haben, bei der es zu mehr Tippfehlern kam.
Insgesamt kann man sagen, dass Heinrich Wolff in seinem Brief versucht hat, die Ausreise als ein Unterfangen darzustellen, was gelingen wird. Er beschönigt oder umschreibt Vieles, damit die Söhne sich keine Sorgen machten und wahrscheinlich auch, damit sie selbst die Hoffnung nicht verlieren. Dass sich die Situation in Deutschland verschlimmert merkt man auch daran, dass auch Selma Wolff den Platz auf dem Brief nutzt, um etwas dazuzuschreiben.
Die Flucht für jüdische Bürger war 1941 so erschwert, dass es kaum eine Chance für das Ehepaar Wolff gab, das Land zu verlassen.
Weiterführende Literatur:
Wolff, Raymond; Graf, Martina; Graf, Hans-Dieter; Berkessel, Hans: Schreie auf Papier. Oppenheim 2021.
Mehr Informationen zum Wohnhaus der Familie Wolff finden sich auch unter „Vergessene Orte“.
Interview mit dem Historiker Henrik Drechsler zur Briefedition der Familie Wolff
Die Interviewfragen wurden von Schüler:innen der MSS 10 entwickelt, die auch die obigen Briefe analysiert haben. Wir danken Henrik Drechsler vom IGL Mainz für das informative Gespräch.
IV. Auszüge der Wiedergutmachungsanträge der Familie Wolff
In den 1957 von Herbert und Helmuth Wolff gestellten Anträgen auf Wiedergutmachung finden sich folgende Berichte:
Quellen:
- Wolff, Raymond; Graf, Martina; Graf, Hans-Dieter, Berkessel, Hans: Schreie auf Papier. Oppenheim 2021.
- Privatarchiv Horst Kasper, Bodenheim
- LA Sp. Best. U199
- Landesamt für Finanzen, Amt für Wiedergutmachung;
AZ: VA 179536; 180968. - Judaica-Sammlung Frankfurt
- Zeitzeugenberichte von Nackenheimer:innen
Wir bedanken und bei dem Ortsmuseum Nackenheim, Herrn Hans Berkessel und Herrn Henrik Drechsler (IGL Mainz) für den Austausch zum Thema.